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Wie plant man den öV von Morgen richtig?

Wie unser öV-System in 30 Jahren aussehen soll, muss bereits heute definiert und geplant werden. Im Video erklärt Mobilitätsexperte Prof. Dr. Thomas Sauter-Servaes, welche Faktoren es dabei zu berücksichtigen gilt und woran gedacht werden muss.

Wie plant man den öV von Morgen richtig?

Wieso muss man Projekte so weit voraus planen?

Die Schweiz investiert kontinuierlich in den Ausbau ihres öffentlichen Verkehrsnetzes, um die umweltverträgliche Mobilität der Bevölkerung zu verbessern. Insgesamt ist die Planung von ÖV-Infrastrukturprojekten jedoch ein komplexer Prozess, der Zeit, Ressourcen und eine umfassende Zusammenarbeit erfordert. Hohe Standards und Qualitätsanforderungen, eine intensive Bürgerbeteiligung und komplexe Genehmigungsverfahren sind drei wesentliche Punkte, warum die Realisierung von öV-Projekten viel Zeit in Anspruch nimmt. Entsprechend frühzeitig müssen die Planungen beginnen.

Wie können wir heute Projekte planen die erst in 20 oder 30 Jahren realisiert werden und sicherstellen, dass sie dann die richtigen Anforderungen erfüllen?

Dafür müssen wir insbesondere zwei Perspektiven zusammenbringen. Zum einen braucht es Wissen über den zukünftigen Bedarf. Hierfür gibt es diverse Prognoseinstrumente. Wichtiger noch als diese Nachfrage-Perspektive erscheint mir aber die Angebotssicht: Wir brauchen eine Vision, wo wir hinwollen. Wie soll unsere Welt von morgen aussehen, wie wollen wir leben, wie wollen wir uns bewegen? Eine entscheidende Einflussgrösse ist dabei das Thema Nachhaltigkeit.

Wie wissen wir heute, wie der öV in 30 Jahren aussieht?

Niemand weiss, wie der öV in 30 Jahren aussehen wird. Aber wenn die Mobilitätswende  gelingen soll, muss ein wesentlicher Anteil des Verkehrs zukünftig im öffentlichen Verkehr stattfinden. Entsprechend müssen wir im öV die notwendigen Kapazitäten infrastruktur- und fahrzeugseitig bereitstellen. Nur so können wir diese Verkehrsleistung tatsächlich qualitativ hochwertig produzieren. Dieses Zielbild einer wirklich nachhaltigen Mobilität müssen wir noch genauer zeichnen und kommunizieren.

Welchen Herausforderungen steht der öV in der Schweiz heute gegenüber und welchen in 30 Jahren?

Das private Automobil ist ein sehr harter Wettbewerber. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. 

Mit der Elektrifizierung der Personenwagen schrumpft der gefühlte ökologische Vorteil des öffentlichen Verkehrs erheblich. Zukünftig könnten Elektroautos sogar ein essentieller Baustein der Energiewende werden, wenn sie als grosse Schwarmbatterie die starken Leistungsschwankungen der Solar- und Windkraftwerke kostengünstig ausgleichen.

Gleichzeitig machen digitale Features und Fahrassistenzsysteme bis hin zum automatischen Fahren das Auto zu einer grünen Erlebnismaschine. Diesem sehr attraktiven Narrativ muss der öV eigene Innovationen entgegensetzen, wenn er signifikant Kundinnen und Kunden hinzugewinnen möchte. Ein einfaches "weiter so" reicht nicht.

Wie haben sich die Mobilitätsbedürfnisse und -gewohnheiten in den letzten 30 Jahren verändert und wurden diese vor 30 Jahren richtig vorausgesagt?

Spannender als die Veränderungen der Mobilitätsgewohnheiten finde ich deren Konstanten. Es gibt wenige Dinge, die so stabil sind wie menschliche Mobilitätsroutinen. So beträgt unser tägliches Reisezeitbudget seit Jahrzehnten ziemlich konstant 90 Minuten.

Neben dieser sog. Marchetti-Konstante beobachten wir aber auch grosse Beharrungskräfte bei der Verkehrsmittelwahl. Wir sind extrem bequem und brauchen starke Impulse, um überhaupt etwas zu ändern, wenn unsere bisherige Mobilität einigermassen funktioniert. Das macht es sehr herausfordernd, neue Mobilitätsangebote in die Köpfe der Verkehrsteilnehmenden zu bekommen. Evolutionäre Veränderungen werden den öV daher kaum auf die Siegerstrasse bringen, da braucht es schon revolutionäre Transformationen.

Was für Konsequenzen hätte es, wenn man eine Entwicklung komplett falsch voraussagt und einen öV plant und realisiert, der dann komplett an den Bedürfnissen und Anforderungen vorbei zielt?

Falls wir an den zukünftigen Anforderungen vorbei planen, fährt unser Verkehrssystem langfristig gegen die Wand. Die geringe Flächen- und Energieeffizienz unseres heutigen autozentrierten Mobilitätssystems können wir uns einfach nicht mehr leisten. Insbesondere in den Städten brauchen wir Flächen, um die urbanen Räume gegen die Klimaerwärmung zu wappnen und aus Transfer- attraktive Aufenthaltsräume zu machen. Anders sind hoch verdichtete Städte nicht denkbar, gerade in Zeiten, in denen wir uns an neue klimatische Bedingungen anpassen müssen.

Wer gibt die Richtung für die Weiterentwicklung des öVs vor und auf welcher Basis?

Wir, die Nutzer:innen, die schweizerischen Stimmbürgerinnen und -bürger sind die entscheidenden Treiber für eine neue Mobilität. Wir müssen die Politik überzeugen, dass wir schnellstmöglich eine radikale Transformation unseres Verkehrssystems wollen. Dafür braucht es einen starken öV, der sich nicht nur auf die klassischen Grossgefässe reduziert, sondern die erste und letzte Meile mitdenkt. Der möglichst viele Optionen vom Veloabo bis zum Carsharing-Auto reibungslos integriert. In Zeiten von ChatGPT erwarte ich da digitale Hintergrundsysteme, die mir ein simples Nutzen ohne nachdenken ermöglichen.

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