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Littern ist nicht nur eine Altersfrage

Daheim wirft kaum jemand Überflüssiges einfach in die Küchenecke. Im öffentlichen Raum ist Abfall jedoch allgegenwärtig – und daran seien nicht nur die Jugendlichen Schuld, sagt die Wirtschaftspsychologin Nina Tobler.

Nina Tobler, wann haben Sie zuletzt eine Person im öffentlichen Raum darauf hingewiesen, dass sie ihren Abfall in den Kübel und nicht auf den Boden werfen soll?

Das war an einem Strand von Barcelona. Ich beobachtete eine Gruppe Jugendlicher, die am Aufbrechen war und überall Plastikbecher zurückliess. Da konnte ich nicht an mich halten. Ich wandte mich allerdings nicht direkt an die Jungen, sondern an die erwachsenen Begleitpersonen.

Und, hats funktioniert?

Ja, vielleicht auch, weil ich versuchte, ruhig und sachlich zu bleiben. Ich argumentierte, sie alle seien wegen der schönen Landschaft extra hierhergereist – da sollten sie dieser auch Sorge tragen. Die Erwachsenen waren einsichtig und forderten ihre Schützlinge auf, alles einzusammeln.

Aber müllten die Jugendlichen am nächsten Tag womöglich munter weiter?

Das weiss ich natürlich nicht. Damit eine Botschaft ankommt, ist es jedenfalls wichtig, nicht zu emotional oder autoritär zu reagieren. Manchmal hilft auch Humor. Jedenfalls ist die Art, wie man Kritik anbringt, zentral: «C’est le ton qui fait la musique».

Warum verhalten wir uns am öffentlichen Strand daneben, so ganz anders als in den eigenen vier Wänden?

Das hat viel mit der sogenannten «Ownership» zu tun, also dem Gefühl des Eigentums respektive Miteigentums. Daheim ist klar, dass jede und jeder selbst für die Ordnung verantwortlich ist. Wie es am Waldrand oder an der Strassenkreuzung aussieht, ist nicht direkt meine Verantwortung, da ist jemand anderes zuständig für das Aufräumen. Anders verhält es sich, wenn man einen speziellen Bezug zu einer Gegend hat. Ich persönlich tauche sehr gern. Daher kann ich es nicht ertragen, wenn am Strand gelittert wird. Und wer gerne wandert, wird in den Bergen bestimmt keinen Abfall zurücklassen.

Aber ohne Bezug zum Ort ist man mehr oder weniger gleichgültig?

Nicht unbedingt. Viele Raucherinnen und Raucher haben kein Problem damit, ihre Kippe in den Strassenschacht fallen zu lassen oder an einer Bushaltestelle auszutreten – dort wimmelt es ja ohnehin davon. Anderseits hätten die meisten Hemmungen, den Zigarettenstummel auf einem Kinderspielplatz oder direkt am Seeufer zurückzulassen.

Und wer verhält sich besonders rücksichtlos?

Es gibt nicht den Litterer. Tatsächlich hat die jeweilige Situation einen Einfluss. Beispielsweise, ob man in einer Gruppe unterwegs ist …

… und sich dann gegenseitig zur Respektlosigkeit ermuntert?

Nicht unbedingt, es kann auch das Gegenteil passieren. Natürlich gibt es die Situation, wo die Clique im Ausgang ist, Alkohol konsumiert und sich gegenseitig ermuntert, sich danebenzubenehmen. Doch wenn es in der Gruppe wichtige Personen gibt, die Littering ablehnen, wird man sich selbst ebenfalls korrekt verhalten. Das gilt etwa, wenn Respektpersonen oder Familienmitglieder dabei sind. Für unsere Zigaretten-Litteringstudie haben wir viele Interviews geführt. «Vor meiner Grossmutter würde ich nie rauchen», hiess es da etwa. Und «in Anwesenheit meiner Familie werfe ich selbstverständlich keine Kippe auf den Boden».

Doch Sie haben es erwähnt: Wo der Boden mit Abfall übersät ist, fallen die Hemmungen, es gleich zu tun.

Wir nennen das den «Broken-Window-Effekt»: Ist in einer leerstehenden Liegenschaft ein Fenster eingeworfen, folgen häufig weitere Regelverstösse. Eine solche Gegend strahlt keine Ownership aus, sie wirkt vernachlässigt. Dieser Zustand gibt mir das Gefühl, dass ich keine Sorge tragen muss, weil hier sowieso schon Verwahrlosung herrscht. Zu Besuch bei Freunden würden wir niemals unser gebrauchtes Taschentuch unter die Büsche werfen. Im Park tun wir das vielleicht eher und an einer ohnehin schon verdreckten Haltestelle erst recht. 

Trotzdem überrascht es mich manchmal, wie Jugendliche nach der Pause im Freien ganz selbstverständlich ihre leeren Getränkedosen stehen lassen.

In einer gewissen Lebensphase wollen wir manchmal auch Grenzen ausloten. Littering ist eine Möglichkeit, Grenzüberschreitungen auszuprobieren: Ich kenne die Erwartungen, die an mich gestellt werden, will sie aber bewusst nicht erfüllen. 

Und wie soll man sich gegen die Vermüllung des öffentlichen Raums wehren?

Es gibt zwei Hebel. Erstens hängt meine Bereitschaft, mich respektvoll zu verhalten, von einer Umwelt ab, die mich zu korrektem Verhalten ermuntert. Dazu gehören eine saubere Umgebung, genügend Abfalleimer, generell ein ästhetischer Aussenraum. Es gibt Projekte, wo sogenannte Raumpatinnen und Raumpaten für die Sauberhaltung von festgelegten Gebieten zuständig sind. Das schafft einen persönlichen Bezug und hilft, den Aussenraum für alle attraktiv zu halten.

Und der zweite Hebel?

Es geht darum, das Problembewusstsein der Bevölkerung zu schärfen. Hier können Sensibilisierungskampagnen helfen.

Trotzdem hat man das Gefühl, vor allem Jugendliche verursachten all den Abfall.

Das ist etwas unfair. Es sind vor allem Menschen, die viel Zeit im Freien verbringen, die littern. Jugendliche halten sich überdurchschnittlich oft im öffentlichen Raum auf. In diesem Alter verfügen sie meist über keinen eigenen Wohnraum und können es sich auch nicht leisten, regelmässig ins Restaurant zu gehen. Der Aussenraum ist daher ein beliebter Treffpunkt. Zudem gibt es diese Flut von Takeaway-Verpflegungsmöglichkeiten erst seit ein paar Jahrzehnten, und Essensverpackungen sind ein Haupttreiber von Littering. Immerhin kommt jetzt mit Mehrweggeschirr auch eine Gegenbewegung. 

In Ihrer Studie streichen Sie die Bedeutung von sozialen Normen für das Littering hervor. Wo stehen wir diesbezüglich in der Schweiz? 

Alles ist eine Frage des Vergleichs. Gegenüber Singapur beispielsweise gibt es bei uns sicher noch Verbesserungsbedarf. Doch im internationalen Vergleich dürfen wir zufrieden sein. Bei uns wird viel investiert in einen sauberen öffentlichen Raum, und Sauberkeit hat einen hohen sozialen Stellenwert. 

Und was empfehlen Sie, damit die Sensibilität hoch bleibt?

Vorbilder sind wichtig, insbesondere das Elternhaus und die Schule. Hilfreich ist es auch, genügend und attraktiv gestaltete Möglichkeiten für die korrekte Entsorgung bereitzustellen. Die Drohung mit Bussen kann kontraproduktiv sein. Wirksamer ist ein humorvoller Zugang, wobei auch immer Information weitergegeben und zum Nachdenken angeregt werden sollten. Welche Massnahmen wie gut wirken, werden wir 2025 in einer vergleichenden Studie untersuchen.

Nina Tobler

Nina Tobler

Nina Tobler ist Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW. Sie forscht zu Nachhaltigkeit und Konsumverhalten und hat 2023 eine Studie zum Thema Littering mitverfasst. Tobler arbeitet als Co-Programmleiterin im CAS Angewandte Psychologie für Strategie, Marketing und Kommunikation.

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