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Endstation U-Bahn Zürich

Eine Metro für Zürich – eine Vision, die nie umgesetzt wurde.

Hätte die Zürcher Stimmbevölkerung 1973 Ja gesagt, würde heute wohl eine U-Bahn zwischen Dietikon und Flughafen verkehren. Der Zeitpunkt der Abstimmung aber war suboptimal, der Abstimmungskampf emotional. So kam es, dass heute ein Teil der bereits erstellten U-Bahn-Infrastruktur anderweitig genutzt wird.

altes Zürich

Zürich

Mitte des letzten Jahrhunderts herrschte in der Stadt Zürich Hochkonjunktur. Immer mehr Arbeitsplätze im Zentrum, aber auch immer teurere Wohnflächen. Es war die Geburtsstunde der Pendlerinnen und Pendler, die morgens in die Stadt zur Arbeit fuhren und abends wieder zurück in die günstigeren Aussenquartiere oder ins Grüne vor der Stadt. Oft in Autos, deren Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg rasant zugenommen hatte. Das Resultat war ein wachsendes Verkehrschaos. Nach einer umfassenden Verkehrsplanung ab 1952 wollte die Stadt das Tram deshalb auf einer Länge von über 21 Kilometern unterirdisch führen, damit der Motorverkehr freie Fahrt hat. Dabei konzentrierte man sich auf die Innenstadt sowie die Strecken nach Schwamendingen und Oerlikon.

Abstimmung

Bis zur Abstimmung 1962 hatte das Verkehrsproblem aber bereits so zugenommen, dass die Tiefbahn längst nicht mehr alle Bedürfnisse abgedeckt hätte. Was war mit den anderen überlasteten Quartieren? Wieso sollten die Strassen den Autos gehören? Oder wieso nicht gleich eine U-Bahn bauen und das Tram ganz von der Strasse entfernen? Über 60 Prozent der Stadtzürcher Stimmbevölkerung lehnten das Projekt schlussendlich ab.

Von der Tiefbahn zur U-Bahn

«Unter der Federführung der Stadt setzten sich im Anschluss zum ersten Mal Stadt, Kanton und SBB zur Planung des Vorortverkehrs zusammen an einen Tisch», erzählt Michael Koller, der seine Dissertation zum Zürcher U-Bahn-Projekt verfasst hat. Dass es eine U-Bahn geben sollte, war schon eineinhalb Jahre nach der gescheiterten Abstimmung klar. Einerseits wollte man nun auch die Agglomeration anbinden, weshalb ein Eisenbahnsystem bevorzugt wurde. Anderseits lehnten die SBB damals zusätzlichen Verkehr auf ihren Schienen ab – es musste also ein eigenes Trassee her. «Und nicht zuletzt liess das U-Bahn-Projekt von Metropolen wie Paris oder London träumen», erzählt der Historiker. Die Idee: Bis rund zehn Kilometer vor dem Stadtzentrum sollten Reisende das SBB-Netz nutzen. Von hier aus wären die Züge ohne Halt bis zum Hauptbahnhof durchgefahren. Wer an einen anderen Ort wollte, hätte auf die U-Bahn umsteigen müssen. Eine erste Linie war von Dietikon über den Hauptbahnhof zum Flughafen beziehungsweise nach Kloten geplant, mit einer Nebenstrecke nach Schwamendingen. Etwas mehr als die Hälfte der 27,5 Kilometer langen Strecke wäre unterirdisch verlaufen. Zwei weitere Linien wurden skizziert: von Dübendorf über den Milchbuck und durch die Innenstadt nach Tiefenbrunnen beziehungsweise auf die Forch und von Unterengstringen über den Hauptbahnhof nach Thalwil. Busse und Trams waren noch für die Feinverteilung ab den U-Bahnhöfen vorgesehen.

Abschnitt 3

Auf Euphorie folgt Ernüchterung

Die Zeichen für die Zürcher U-Bahn standen lange gut. Als Mitte der 1960er-Jahre der Flughafen ausgebaut wurde, erstellte man dort bereits eine Autoeinstellhalle, die man einfach zur U-Bahn-Station hätte umbauen können. 1970 eröffnete zudem die Bahnhofpassage Shopville am Hauptbahnhof, bei deren Bau vorsorglich Wände für eine U-Bahn-Station im Boden eingelassen wurden. Auch zwischen dem Milchbuck und Schwamendingen wollte man Synergien nutzen: Unter dem geplanten Autobahnzubringer A1L sollte auch gleich ein U-Bahn-Tunnel entstehen. Die Zürcher Stadtbevölkerung stimmte dem 1971 mit überraschend hohen 78 Prozent zu und sorgte damit für Zuversicht bei den U-Bahn-Fans. «Selbst Ende 1972 sprachen sich in einer Umfrage noch 75 bis 80 Prozent für die U-Bahn aus», so Koller. Sechs Monate später die Ernüchterung: Am 20. Mai 1973 lehnten Kanton und Stadt Zürich die U- und S-Bahn-Pläne ab. Der Kanton mit fast 57 Prozent, die Stadt sogar mit über 71 Prozent. Vor allem die zunehmende Gleichsetzung der U-Bahn mit den negativen Folgen des Wirtschaftswachstums durch die laute Kampagne von Gegnern aus der politischen Linken habe laut Koller zum Meinungsumschwung geführt. Der Zeitpunkt der Abstimmung sei für das Projekt entsprechend ungünstig gewesen.

Abschnitt 4

Werbung Metro

«Zwei Jahre früher wäre es wahrscheinlich angenommen worden», vermutet der Historiker. Inzwischen aber hatte sich die Inflation stark bemerkbar gemacht und das hohe Wachstum schürte grosse Befürchtungen vor noch mehr Metropolisierung, teurerem Wohnraum und einer weithin als Überfremdung empfundenen starken Zuwanderung. Auch wurden die Baukosten von 1,25 Milliarden Franken zum grossen Thema. Vor allem Banken und Bauunternehmen würden hier profitieren, tönte es von links und rechts. «Und dass ausgerechnet nur Tage vor der Abstimmung noch erhöhte Steuerrechnungen verschickt wurden, war sicher auch nicht förderlich.»

Abschnitt 5

Ein gutes Nein

Der Abstimmungskampf sei sehr emotional geführt worden, erzählt Koller. «Dabei gab es eigentlich auch ganz sachliche Argumente gegen das Projekt, die jedoch kaum zum Tragen kamen.» Er hebt hier die grösstenteils parallel zur SBB-Schiene verlaufende Linienführung und den Abbau von Tram- und Bushaltestellen entlang dieser Linien hervor. «Zudem wäre es je nach Streckenabschnitt zehn bis 15 Jahre gegangen, bis die U-Bahn betriebsbereit gewesen wäre. Und Gelder für die sofortige Verbesserung des Bus- und Tramverkehrs hätten gefehlt.» Entsprechend sieht der Historiker das Scheitern der damaligen U-Bahn auch nicht als verpasste Chance, sondern als Grundstein für die heutige, aus seiner Sicht bessere Verkehrslösung. Denn bald nach der Abstimmung machte sich Zürich an viele kleinere, aber gezieltere Ausbauten bei Tram und Bus. Auch war klar, dass das Nein nicht gegen die S-Bahn gerichtet war. «Und die SBB hatten ihr Netz inzwischen so ausgebaut, dass dieses inklusive der städtischen Bahnhöfe nun in die Planung der S-Bahn aufgenommen werden konnte.» Selbst die bereits umgesetzten Vorarbeiten waren nicht vergebens: Das Teilstück zwischen Milchbuck und Schwamendingen wird heute als Tramtunnel genutzt – vorausschauend hatte man von Beginn an auch die Möglichkeit für Oberleitungen einkalkuliert. Und an der vor über 50 Jahren bereits teilweise erstellten U-Bahn-Station am Hauptbahnhof endet seit 1990 die Sihltal-Zürich-Uetliberg-Bahn SZU.

 

Weitere Informationen: Koller, Michael. Das Scheitern des Zürcher U-Bahn-Projekts – Verkehrspolitik und Stadtentwicklung in der Hochkonjunktur (1962-73). 2023, Universität Zürich, Philosophische Fakultät. 

Elena Odermatt und Martin Ellwanger Basler Hoffmann

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