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Wie entsteht ein Fahrplan?

Jedes Jahr am zweiten Wochenende im Dezember wechselt der Fahrplan. Im Interview erklärt Simon Gemperli, Leiter Produkt, warum man nicht einfach mehr Zeitpuffer einplanen kann, um pünktlich zu sein.

Warum wird der Fahrplan jedes Jahr angepasst?

Der öffentliche Verkehr wird laufend ausgebaut und optimiert. Das heisst, neue Bahn-, Tram- oder Buslinien kommen hinzu oder bestehende werden verändert. Zudem werden laufend Projekte an Schiene oder Strasse umgesetzt, wodurch sich Fahrzeiten und Haltepunkte verändern. Damit nicht jede Woche irgendwo ein neuer Fahrplan gilt, werden mit dem jährlichen Fahrplanwechsel alle Änderungen gebündelt an einem Tag umgesetzt. In weiten Teilen Europas hat sich der Sonntag des zweiten Wochenendes im Dezember als Tag für den Farplanwechsel durchgesetzt. Damit können auch grenzüberschreitende Verbindungen koordiniert umgesetzt werden.

Ein Fahrplan hat unzählige Abhängigkeiten. Wie kommt er zustande?

Um den öffentlichen Verkehr möglichst effizient anzubieten, wird ein ausgeklügeltes System angewendet: Die Ortsverkehre erschliessen mit einem dichten Haltestellenabstand die Quartiere einer Gemeinde und bringen die Fahrgäste zu einem Umsteigepunkt auf den Zug. Die S-Bahnen verbinden die einzelnen Gemeinden und bringen die öV-Reisenden an grössere Bahnhöfe, wo diese auf den Fernverkehr umsteigen können. Am Zielort angekommen, kann wiederum nach demselben Prinzip auf Regional- oder Ortsbusse umgestiegen werden. Es findet also immer eine Bündelung der Fahrgäste statt. Wichtig dabei ist, dass die Anschlüsse funktionieren und die Umsteigezeiten nicht zu lange sind. Bei einer Reise von A nach B mit den verschiedenen Verkehrsmitteln sprechen wir dann von der Reisekette eines Fahrgastes.

Um diese Reisekette zu gewährleisten, ist es wichtig, dass zuerst die Fahrpläne der Züge bekannt sind. Danach werden die Buslinien in Abhängigkeit der Zugfahrpläne so angepasst, dass die Fahrgäste ihren Anschlusszug erreichen oder der Bus auf den ankommenden Zug am Bahnhof wartet, damit die Leute umsteigen können. So entsteht ein System, welches eng ineinander verzahnt ist. Um die Reiseketten zu kennen und die Passagierströme zu messen, werden in den Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs die Fahrgäste mittels Sensoren an den Türen gezählt. Diese Zählung ist eine wichtige Basis für die Planung und Dimensionierung von Fahrplanangeboten.

Heisst das, die Passagiere werden überwacht?

Nein, da muss man sich keine Sorgen machen. Die Sensoren erkennen einfach Personen und können Menschen unterscheiden von Dingen wie Kinderwagen oder Koffern. Die Sensoren können jedoch weder Gesicht noch Geschlecht erkennen. Das ist vergleichbar mit anonymen Verkehrszählungen auf Strassen.

Aufgrund welcher Faktoren werden Änderungen am Fahrplan bei der SZU vorgenommen?

Beim Fahrplanangebot reagieren wir auf die stetig ändernden Bedürfnisse der Kunden. Auch städtische Siedlungsentwicklungen, Arbeitsplatzentwicklungen und Änderungen im Mobilitätsverhalten haben Auswirkungen auf das Fahrgastaufkommen. So wissen wir zum Beispiel heute schon, dass sich das Fahrgastaufkommen bis 2050 nochmals verdoppeln wird. Um dem gerecht zu werden, erhalten wir jedes Jahr ein Budget für Änderungen, damit wir Schritt für Schritt Verbesserungen vornehmen und dieses Wachstum bewältigen können. Das geschieht einerseits über den Fahrplan, andererseits ist aber auch die Grösse der eingesetzten Fahrzeuge wichtig bei der Planung. Dabei gibt es Abhängigkeiten zur Infrastruktur wie die Perronlängen beim Zug oder der Fahrbahnbreite bei Bussen.

In der letzten Zeit war oft zu lesen, dass deutsche und allgemein ausländische Züge die Pünktlichkeit der Schweizer Züge beeinflussen. Ist die SZU davon auch betroffen?

Die SZU ist davon praktisch nicht betroffen. Die beiden S-Bahnen der SZU fahren auf Strecken, welche nicht vom Fernverkehr oder internationalen Zügen genutzt werden. Dadurch kann eine Übertragung solcher Verspätungen auf die Züge der SZU ausgeschlossen werden. Zudem verkehren unsere Züge vergleichsweise in einem ziemlich dichten Takt, wodurch auch bei Verspätungen an Bahnhöfen regelmässige Anschlüsse gewährleistet sind. Einzig um die Reisekette von Fahrgästen aus internationalen Zügen zu gewährleisten, kann es vorkommen, dass der letzte Zug am Abend noch auf verspätete Anschlussreisende wartet. Dies kommt aber höchst selten vor.

Beim Triemli wurde neu ein Halt von fünf Minuten eingeplant, um allfällige Verspätungen wieder aufzuholen. Warum wurde das gemacht?

Die S10 der SZU auf der Strecke Zürich HB–Triemli–Uetliberg verkehrt Montag bis Freitag im 30-Minuten-Takt auf den Uetliberg. Dazwischen immer nur bis Triemli. Am Wochenende hingegen fahren alle Züge in einem 20-Minuten-Takt bis auf den Uetliberg. Die Strecke auf den Uetliberg ist mehrheitlich einspurig und verfügt über wenig Doppelspuren, wo Züge kreuzen können. Verspätete sich am Wochenende ein bergwärts fahrender Zug, zum Beispiel weil der Fahrgastwechsel bei hohem Fahrgastaufkommen zu lange dauerte, übertrug sich diese Verspätung auf den talwärts fahrenden Zug. Diese Verspätungen haben sich im schlechtesten Fall auf den ganzen Tag erstreckt und konnten manchmal bis am Abend nicht mehr abgebaut werden. Damit haben viele Fahrgäste ihre Anschlusszüge am Hauptbahnhof verpasst. Durch den neuen kurzen Halt von fünf Minuten je Richtung können mit dieser Pufferzeit Verspätungen bei hohem Fahrgastaufkommen abgebaut werden. So verkehren die Züge wieder viel pünktlicher.

Warum baut man also nicht auf jeder Strecke einfach etwas mehr Zeitpuffer ein, um die Pünktlichkeit zu steigern?

Das ist in der Praxis leider nicht ganz so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheint. Der öffentliche Verkehr steht immer in Konkurrenz zum Individualverkehr mit dem Auto oder dem Velo- und Fussverkehr. Dies betrifft natürlich auch die Reisezeit. Durch die Bündelung der Fahrgäste im öV ist bei den meisten Reisen schon mit einer längeren Reisezeit gegenüber dem motorisierten Individualverkehr zu rechnen, da häufig nicht der direkteste Weg gefahren werden kann. Werden nun auch noch die einzelnen Fahrten einer Reisekette länger, verliert der öV an Attraktivität im Vergleich zum Individualverkehr. Mit dem öV sollen möglichst viele Leute in einem Fahrzeug eingesammelt werden, während mit dem Auto der individuelle Weg gefahren wird.

Welche Änderungen stehen beim Angebot der SZU mit dem Fahrplanwechsel im Dezember an?

Neben der Anpassung der Fahrzeiten auf der S10 reagiert die SZU auch auf das veränderte Reiseverhalten der Fahrgäste. So werden die Zuglängen den aktuellsten Fahrgastzahlen angepasst: Die Züge verkehren am Wochenende bereits früher am Morgen in voller Länge, um mehr Fahrgäste zu befördern. Im Busverkehr wird am Wochenende die Ortsbuslinie 153 Adliswil–Büchel über die Haltestelle Langnau a.A., Schwerzi-Wildpark nach Langnau-Gattikon verlängert. Dadurch wird der Wildnispark Langenberg mit guten Anschlüssen in Adliswil im 20-Miunten-Takt erschlossen. Des Weiteren gibt es kleinere Fahrweganpassungen auf der Nachtbuslinie N28 und dem letzten Kurs auf der Linie 126 in Au ZH.

Was ist das Schlimmste, das passieren könnte bei einer Änderung des Fahrplans?

Heute geschieht vieles mit digitalen Hilfsmitteln. Kommt es zu grösseren Änderungen im Fahrplan und die unterstützenden Systeme funktionieren an diesem Tag nicht wie vorgesehen, kann das zu grossen Verspätungen und Ausfällen führen. Deshalb muss auch hier noch auf eine manuelle Ebene zugegriffen werden können. Ebenfalls gravierend könnten zu klein dimensionierte Züge oder Busse sein, wenn sich zum Beispiel das Fahrverhalten der Fahrgäste durch neue, unvorhergesehene Einflüsse verändert. Dies könnte nicht so einfach von heute auf morgen behoben werden, da die Fahrzeuge erst einmal bestellt werden müssen.

Im Normalfall kommt es an den Wochen nach dem Fahrplanwechsel immer noch zu einigen Optimierungen im täglichen Betrieb. Dies kann zum Beispiel den Fahrzeugeinsatz betreffen oder auch die Dienste, welche den Einsatz des Fahrpersonals oder der Lokführenden regeln.

Hast du jeweils schlaflose Nächte in der Zeit um den Fahrplanwechsel?

Der Fahrplanwechsel ist häufig der Tag im Jahr, auf den wir viele Projekte und Weiterentwicklungen am öffentlichen Verkehr umsetzen können. Deshalb freue ich mich immer auf dieses Wochenende und darauf, die neuen Möglichkeiten und Verbindungen auszunutzen. Umso schöner ist es, wenn diese bei den Fahrgästen gut ankommen und genutzt werden. Da die meisten Änderungen planbar sind, sollte der Fahrplanwechsel nicht zu schlaflosen Nächten führen. Sonst hätte man bei der Planung einiges verkehrt gemacht. Bei grösseren Fahrplanänderungen spüre ich aber jeweils schon eine grössere Anspannung oder Nervosität. Das bezieht sich aber eher auf die Tage und Wochen vor dem Fahrplanwechsel, wo noch der letzte Feinschliff gemacht wird.

Und zuletzt: Wie reagierst du persönlich, wenn Züge verspätet sind?

Da ich selbst kein Auto besitze und damit auf den öffentlichen Verkehr angewiesen bin, ärgern mich verspätete Züge auch. Können die Anschlüsse aber trotz Verspätung gewährleistet werden, stört mich das nicht. Wenn ich allerdings an einem Ort strande, wo die nächste Verbindung erst in einer halben oder gar einer ganzen Stunde verkehrt, nervt das natürlich. Für mich ist es immer interessant, wodurch die Verspätung entstanden ist, weil so viele Faktoren die Pünktlichkeit im öV beeinflussen.

 

Simon Gemperli

Simon Gemperli Wie entsteht ein Fahrplan SZU

Simon Gemperli

Simon Gemperli leitet die Abteilung Produkt bei der SZU, welche für die Gestaltung des Fahrplans zuständig ist. Er hat Verkehrssystemen an der ZHAW studiert und dann den Master in Europäischen Bahnsystemen angehängt. Zuvor war er als Verkehrsplaner bei der Bus Ostschweiz tätig.

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